Die Sozialdemokratisierung der Grünen Claus Menzel im SDR 2 am 22.11.2001 Vielleicht sollte einer dieser vielen klugen Leute an unseren Akademien oder Universitäten ja doch einmal eine Dissertation zu diesem Thema schreiben lassen - Da treten, weil die etablierten Parteien bestimmte Probleme nicht lösen können oder wollen, neue Gruppierungen an und dies, weil es diese Probleme dummerweise wirklich gibt, sogar mit Erfolg. Nicht genug damit, dass sie zum Beispiel in die Parlamente gewählt werden, manchmal müssen sie sogar regieren und dann, spätestens dann, all die Realitäten zur Kenntnis nehmen, an denen sich nun einmal zu orientieren hat, was in den Leitartikeln hierzulande gern verantwortungsbewusstes Handeln genannt wird. Gute Politik. wohl wahr, besteht immer in der Kritik am status quo. Doch wer Realitäten verändern will, darf sie nicht leugnen. So weit, so gut, und nichts gegen einen Pragmatismus, der aus lauter kleinen Schritten einen großen macht. Warum aber müssen wir immer wieder erleben, dass die durchaus notwendige Erkenntnis der Wirklichkeit auf direktem Wege zur normativen Macht des Faktischen führt, zur blanken Kapitulation vor dem, was ist? Warum endet der Versuch, die Realitäten dieser Gesellschaft und dieses politischen Systems den Idealen unserer Lesebücher wenigstens ein bisschen anzunähern, immer wieder mit der Veränderung der Veränderer? Und warum enden alle taktischen Seitensprünge immer wieder im Abseits? Gewiss,
von den Grünen ist die Rede. Genauer gesagt vielleicht, von dem,
was nach diesem Rostocker Parteitag von den Grünen noch übrig
ist. Nein, man musste wirklich nicht alles für gut und richtig
halten, was sie einst, vor zwei Jahrzehnten, forderten und wofür
sie zu kämpfen versprachen. Nicht zu leugnen aber, wie wichtig
sie für diesen Staat und diese Gesellschaft doch schon deswegen
waren, weil sie die Spinner integrierten, die Träumer und die Narren,
deren Utopien ja nur auf den ersten Blick so weltfremd wirken. Gerade
weil sie sich der Diktatur der Sachzwänge nicht beugten und der
Wirklichkeit ihre Ideale gegenüberstellten, erzwangen die Grünen
immer mal wieder jene für eine Demokratie lebenswichtigen Diskussionen,
in denen sich die Realitäten neu zu legitimieren hatten. Das, genau
das, war ihre Aufgabe, zumal in einer Zeit, in der sich einst kritische
Geister als intellektuelle Hauptfeldwebel aufspielen, einst kritische
Medien als Zentralorgane eines spiesserfrommen Zeitgeistes. Schwer
zu sagen, was von den Grünen bleiben wird. Den Sozialarbeiter-Slang
beherrschen unterdessen auch die Christdemokraten, selbst in feinen
Restaurants kann man inzwischen vegetarisch essen, kaum ein Schrebergärtner
kippt noch Gift auf den Salat und dass man zu Kindern nett sein soll,
steht sogar in der "Bild"-Zeitung. Mit 20 allerdings so grau
zu sein wie andere nicht einmal mit 60 - das macht den Grünen so
schnell keiner nach. |