Von Superhelden und heiligen Kriegen
Robert Jewett analysiert Motive für den Irak-Krieg
(mb) Der Krieg im Irak ist Wirklichkeit geworden. Trotz fehlender Legitimation durch die Vereinten Nationen, trotz weltweiter Proteste und gegen des Völkerrecht. Viele Menschen hierzulande
sind irritiert durch das Vorgehen der USA, dem Land, das weltweit für Demokratie und Menschenrechte steht. Irritiert auch durch die religiöse Terminologie, mit der dieser Krieg legitimiert
wird. Die Kirchen in Deutschland protestieren in seltener Einmütigkeit. Was glaubt Präsident Bush und was glaubt Amerika? Robert Jewett, amerikanischer Professor für Neues Testament,
der seit zwei Jahren als Gastprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg arbeitet, versuchte in einem Gespräch mit "Kirche auf dem Weg" eine
Antwort zu geben.
Der Professor beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit der jüngsten Vergangenheit der USA und hat zusammen mit John Shelton Lawrence zwei Werke dazu veröffentlicht ("The
Myth of the American Superhero" und "Captain America and the Crusade against Evil"). Seine Thesen sind gewöhnungsbedürftig aber einleuchtend. Die amerikanische Kultur,
so sagt er, hat zwei Seiten: zum einen die verfassungsrechtliche und demokratische Tradition, die das Völkerrecht respektiert und Konflikte mit juristischen und diplomatischen Mitteln
lösen will. Zum anderen eine Art "Heiliger-Krieg-Mentalität", die die Welt wie ein Schwarz-Weiß-Bild sieht, "wo das Böse bösen Menschen zugeordnet
wird, wo Gewalt eine erlösende Kraft hat, Kompromisse nicht möglich sind und eine fast apokalyptische Hoffnung herrscht". Dieser "nationale Messianismus" bestehe schon
seit der Staatengründung Amerikas, denn die Gründerväter seien puritanische Revolutionäre mit einer ausgeprägten Kriegsmentalität gewesen. Er beziehe seine Legitimation
aus dem Alten Testament (1-4 Mose, den Psalmen und dem Buch Daniel beispielsweise) und der Apokalypse des Johannes, in der die himmlischen Kräfte dem Kämpfer gegen das Böse
zur Seite stehen, das Schlechte ausmerzen und ein tausendjähriges Reich des Friedens einleiten. Weltprobleme können, wie diese Bibelstellen vermuten lassen, durch Gewalt gelöst
werden. Verstärkt wird der nationale Messianismus, so Jewett, durch die Verbindung mit einem stets gegenwärtigen und tief in der amerikanischen Seele verwurzelten Phänomen der
Popkultur: dem Superhelden, der allein, in einer ausweglosen Situation, gegen die ganze Welt agiert und das Gesetz brechen muss, um das Recht zu stiften und die bedrohte Gesellschaft zu retten.
Der Superheld ist keinem Gericht gegenüber verantwortlich und an die Stelle der Legitimität tritt der Wille, genau wie es Präsident Bush in seiner Rede zum Kriegsbeginn erklärte.
Die Rolle des Superhelden, der von Gott berufen ist die Welt zu erlösen, habe Bush nach dem Terrorangriff des 11. September, "an dem das Böse sein Haupt erhoben habe",
übernommen, und er spiele sie ausgezeichnet.
Für Robert Jewett ist das ein Verrat an der amerikanischen verfassungsrechtlichen Tradition. "Wir sind geneigt, Kreuzzüge zu führen", sagt er, es sei nicht das erste
Mal, aber keine Demokratie könne mit dieser Kriegsmentalität überleben. Deshalb fordert er für sein Land eine "große nationale Klärung" und Besinnung
auf eine andere Seite der theologischen und biblischen Tradition: auf die Propheten, auf Paulus und auf den Jesus der Geschichte und der Evangelien, der selbst seine Feinde zu lieben lehrte.
Diese Tradition verlagere das Böse nicht nach außen sondern sei sich bewusst, dass es in jedem Menschen gute und böse Seiten gebe, und der richtige Weg miteinander umzugehen
in Liebe und in Kompromiss bestehe.
"Dass wir Demokratie im Mittleren Osten mit kriegerischen Mitteln stiften können, ist unrealistisch, alles was wir bewirken, wird eine neue Generation von Al-Kaida sein, die die
ganze westliche Welt gefährden wird und vor allem Israel". Jewett ist davon überzeugt, dass dieser Krieg für Israel gekämpft wird, und dass die amerikanische Regierung
glaubt, die Probleme zwischen Israel und den Palästinensern lösen sich auf wunderbare Weise, wenn der Mittlere Osten demokratisiert sei. "Die Fundamentalisten hoffen, dass jetzt
der große Kampf der Offenbarung des Johannes beginnt, und dass die neue Welt daraus hervorgeht." Dies sei eine phantastische und weltfremde Ideologie, aber sie fuße auf biblischen
Wurzeln, betont Jewett und fordert dazu auf, auch diese Seite der heiligen Schrift zu sehen, und gerade im "Jahr der Bibel" zu bedenken, dass sich, genau wie im Koran, im Alten und
Neuen Testament Stellen finden lassen, die Gewalt als Mittel der Konfliktlösung begründen und mit denen ehrlich umgegangen werden müsse.
Für gefährlich hält der amerikanische Theologe auch das Sprechen von der amerikanischen Nation als der letzten Supermacht. "Es gibt keine Supermacht, und diese Mythologie
führt uns fälschlicherweise zu einer falschen Einschätzung unserer Kräfte." Die Supermacht und der Superheld, zwei Vorstellungen, die sich ergänzen, triumphieren
eben nicht automatisch, wie die Geschichte, auch die deutsche und europäische, hinreichend bewiesen habe. Besser wäre eine Rückbesinnung auf die alten Heldengeschichten, denn
anders als die Superhelden seien Helden Menschen, die angreifbar und verletzbar seien. "Jesus war auch so, er war nicht super, er wurde getötet. Er war ein heldischer Mensch, kein
Supermensch", erinnert der Theologe und lenkt den Blick auf die katholische Theologie, die auf eine realistische Weise in der Lage sei, solche falschen Selbstbilder zu korrigieren, "denn
sie hat das Kruzifix im Zentrum ihrer Botschaft". Die puritanischen Kirchen Amerikas kennen das Kreuz nur ohne Korpus. Es ist eine Theologie, "die nur die Auferstehung kennt und
kein Leid. Was wir brauchen ist, zuzugeben, dass wir alle verletzbare Kreaturen sind", mahnt Jewett. Die Deutschen hätten aus ihrer Geschichte gelernt und es sei sehr wichtig, was
sie in den letzen Monaten geleistet haben, indem sie sich aus moralischen Gründen strikt gegen diesen Krieg im Irak ausgesprochen haben. Deutschland sei das Zentrum der Bewegung gewesen,
die sich im Sicherheitsrat gegen die USA gestellt habe. Dadurch sei Schlimmeres vermieden worden, denn ein Irak-Krieg mit Legitimation der Vereinten Nationen wäre die noch katastrophalere
Lösung gewesen. "Ich möchte, dass Deutschland weiter am internationalen Völkerrecht festhält und dass die deutschen Theologen und Kirchen noch klarer erkennen, dass
das Völkerrecht auf biblischer Grundlage beruht" appelliert Jewett und erinnert an den Propheten Amos, der als Erster in der Weltgeschichte ein internationales Völkerrecht begründet
habe, als er warnte, dass Gott die Untaten der Philister genauso bekämpfen würde, wie die des "auserwählten Volkes" Israel. Weiter erwähnt er den Propheten Jesaja,
der als Erster die Vision eines "Weltsicherheitsrates" beschrieben habe (Kap. 2), in der die Nationen auf das Gesetz Jahwes hören und ihre Konflikte lösen, indem sie Schwerter
zu Pflugscharen umschmieden. Der Irak-Krieg sei ein Angriffskrieg und er sei eine Katastrophe, betont Jewett, aber er habe auch zum ersten Mal weltweit das Völkerrecht in die Diskussion
gebracht. Auch hier seien die Deutschen, besonders auch die deutschen Theologen, führend gewesen seien. Die Aufgabe, die es jetzt umzusetzen gelte, sei eine globale Unterstützung
verfassungsmäßiger Weltsysteme wie des Völkerrechts in der Hoffnung, dass in vielleicht nicht mehr allzu ferner Zukunft internationale Konflikte durch Gesetz und Weltparlament
gelöst werden können statt durch Kriege. Zur Zeit seien die Amerikaner Gegner des Völkerrechts, doch wenn Deutschland und Europa ein Gegengewicht bilden - aus Freundschaft zu
diesem Land, das sich auf einem falschen Weg befinde -, könnten sich die politischen Realitäten in den USA auf längere Sicht dahin ändern, "dass auch wir den Weg Jesu,
Paulus und der Propheten gehen und den Weg des Superhelden aufgeben".
Aus: Kirche auf dem Weg - Mitteilungsblatt für das Katholische Dekanat Heidelberg 5/2003
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